Global Sumud Flotilla: Kompromisslos Richtung Gaza
Die Gaza-Flottille ist eine Ansammlung von Jachten und Kuttern, die nach eigenem Bekunden «die israelische Belagerung» Gazas aufbrechen und den Palästinensern Hilfsgüter bringen möchte. Die Flottille und ihre Besatzungen sind vor Wochen bereits aufgebrochen und nähern sich gerade, bestückt mit palästinensischen Flaggen, der Küste Israels und des Gazastreifens.
Dessen Regierung hat immer klargemacht, dass sie eine Landung der Flotte in Gaza nicht zulassen wird. Doch die Besatzungen der Flottille entgegnen dem unablässig: «Wir geben nicht nach!» Selbst der neue und möglicherweise aussichtsreiche Friedensplan der US-Regierung kann sie nicht umstimmen. Sie wollen die «Belagerung» durchbrechen, um ein «ein Zeichen Solidarität» zu setzen.
Angesichts der Kräfteverhältnisse könnte man meinen, die Flottille – die sich Global Sumud Flotilla nennt – sei höchstens eine Fussnote in der nahöstlichen Tragödie wert, ein weiterer Beleg für die europäische Hilflosigkeit. Doch die Flottille beherrscht seit vielen Tagen in Italien und auch in Spanien die Schlagzeilen. Die Medien bilden im Minutentakt den Standort der mehr als 40 Boote ab. Je näher sie an Israel herankommen, desto aufgeregter wird der Ton. Im Livestream berichten die Besatzungen von Drohnen, die sie überfliegen, von israelischen Einschüchterungsversuchen und Drohungen. Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto sagte öffentlich, er hoffe, die Aktivisten «würden nur verhaftet», und schürte damit die Befürchtungen, dass etwas Schlimmes passieren könnte.
An Bord sind auch italienische Abgeordnete
Selbst der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella sah sich gezwungen, den Besatzungen der Flottille zuzurufen: «Setzen Sie Ihre Unversehrtheit nicht aufs Spiel!» Italiens Öffentlichkeit fiebert mit und fragt sich: Wann kommt es zum Knall?
Es ist den Aktivisten mit dieser Aktion gelungen, die italienische Regierung unter Druck zu setzen. Premierministerin Giorgia Meloni verfolgt in Sachen Palästina einen vorsichtigen, dem der deutschen Regierung nicht unähnlichen Kurs. Italien schloss sich der vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron initiierten Anerkennung eines palästinensischen Staates zwar nicht an, bekennt sich aber zu einer Zweistaatenlösung. Italien hat sich bisher auf europäischer Ebene auch gegen Sanktionen gegen Israel gewandt. Gleichzeitig aber gab es in den vergangenen Wochen Massendemonstrationen in italienischen Grossstädten, die sich gegen diese Nahostpolitik der Regierung wandten. Die Flottille ist die direkte Verlängerung dieser Demonstrationen, eine Kundgebung von Aktivisten auf dem Mittelmeer.
Die Sache erhielt besonderes Gewicht, nachdem Abgeordnete der Sozialdemokraten und des Movimento 5 Stelle (M5S) sich der Flottille angeschlossen und dabei ihre Eigenschaft als Vertreter des italienischen Volkes in den Vordergrund gestellt hatten. Sozialdemokraten wie auch M5S warfen im Parlament der Regierung Untätigkeit vor. Was, so das vorgebrachte Argument, tue diese Regierung, die ja sonst immer das Wort der italienischen Nation im Munde führe, was tue sie jetzt für die italienischen Bürger, die draussen auf dem Meer einer konkreten Bedrohung ausgesetzt seien, dazu noch unter den Augen der Öffentlichkeit? Damit hob die Opposition das Schicksal der Flottille in den Rang einer Staatsaffäre und machte sich gleichzeitig mit der Sache der Pro-Palästina-Aktivisten gemein.
Am Ende kam Donald Trump Meloni entgegen
Meloni reagierte auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen schickte ihr Verteidigungsminister Crosetto zwei Fregatten zum Schutz der Flottille, was freilich nicht mehr als eine Theateraufführung zur Beruhigung des aufgeregten Publikums ist. Denn Crosetto machte deutlich, dass die Fregatten keinen Schutz mehr gewähren würden, sobald die Flottille in die Gewässer vor dem Gazastreifen einläuft. An einem Konflikt italienischer Kriegsschiffe mit der befreundeten israelischen Marine ist in Italiens Regierung niemand interessiert.
Gleichzeitig verwies die Premierministerin darauf, dass es ein Kompromissangebot gebe. Die israelische Regierung hatte angeboten, die Hilfsgüter der Flottille in den Hafen von Aschkelon zu bringen und danach nach Gaza zu liefern. Doch die Aktivisten lehnten das ab. Sie wollen partout selbst die Blockade durchbrechen. Diese kompromisslose Haltung machte es Meloni leicht, die Flottille als Provokation abzustempeln: Sie wolle nur die Regierung in Verlegenheit bringen und interessiere sich überhaupt nicht für das Schicksal der Palästinenser.
Am Ende kam Donald Trump Meloni entgegen, indem er einen Friedensplan für Gaza präsentierte. Daraus ergeben sich Fragen über den Sinn der Flottille, nämlich ob man Frieden besser mit diplomatischen anstatt mit aktivistischen, militanten Mitteln stiften sollte. Ob es nicht wirkungsvoller ist, sich an einen Verhandlungstisch zu setzen, als mit Segelbooten und einer unerschöpflichen Portion an Kompromisslosigkeit auf Gaza zuzusteuern. Und schliesslich: Welchen Sinn hat die gesamte Flottillenaktion, wenn ein Abkommen den Krieg in Gaza nun beenden könnte?
Das alles aber hielt die Flottille bislang nicht auf. Bis zum Mittwochabend. Da stoppten israelische Boote die Aktivisten.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.